Russland hat ein Müllproblem. Die Zahlen bestätigen die These. Inzwischen nehmen Deponien – offizielle und wilde – eine Fläche von mehr als vier Milliarden Hektar ein. Damit sind russische Mülldeponien so groß wie die Schweiz.
38 Milliarden Tonnen an Abfällen haben sich inzwischen in Russland abgelagert. Pro Jahr kommen auf diese Menge 70 Millionen Tonnen allein an Haushaltsabfällen hinzu. Das ist das zehnfache Gewicht der Cheops-Pyramide. Verarbeitet werden weit weniger als zehn Prozent der Menge.
Dabei lagert im Abfall vieles, was sich verwerten ließe. Gerade bei Papier und organischen Abfällen gibt es gute Möglichkeiten zur Wiederverarbeitung.
Der Kampf um den russischen Markt für Abfallverarbeitung ist längst eröffnet. Immerhin geht es um einen Umsatz von jährlich etwa 200 Milliarden Rubel. Die wichtigsten Akteure stellen wir kurz auf dieser Seite vor.
Wichtigster Akteur auf dem Abfallmarkt ist zweifellos der Russische Ökologische Operator (REO), der als staatliche Regulierungsbehörde den gesamten Sektor administriert und kontrolliert. Über den REO läuft auch die staatliche Finanzierung von Projekten. Ein ausführliches Porträt des nationalen Operators finden sie hier.
Für die Umsetzung der Reform sind aber in erster Linie die so genannten Regionalen Operatoren verantwortlich. Sie schließen Verträge mit den Gebieten und Gemeinden über die Entsorgung, sie tätigen die Investitionen, kaufen Maschinen und Anlagen. Eine Übersicht über die regionalen Operatoren finden sie hier
Daneben gibt es aber auch weitere Schwergewichte auf dem Markt der Abfallwirtschaft in Russland. Einige von ihnen haben sich den Status eines regionalen Operators gesichert, andere sind Großinvestoren bei Schlüsselprojekten oder besitzen langjährige lukrative Entsorgungsverträge:
RT-Invest: Das Unternehmen wurde 2012 unter Beteiligung der staatlichen Rüstungsholding Rostech (gehört 25 Prozent plus eine Aktie) gegründet, wird aber von Generaldirektor Andrej
Schipeljow kontrolliert. Der Konzern ist russlandweit aktiv. 2017 gewann RT-Invest die erste Ausschreibung zum Bau von vier Müllverbrennungsanlagen im Gebiet Moskau und einer Anlage in der russischen Teilrepublik Tatarstan. Die Investitionskosten belaufen sich laut Rostech-Chef Sergej Tschemesow auf 150 Milliarden Rubel (gut zwei Milliarden Euro). Nach Angaben Schipeljows strebt RT-Invest einen Marktanteil von etwa 30 Prozent des russischen Abfallmarktes an.
Webseite: http://www.rt-invest.com/
Viva Trans: Mit einem Umsatz von 3,71 Milliarden Rubel (50 Millionen Euro) einer der größten Akteure in Moskau. Die Anteilseigner des im Jahr 2000 zunächst als Baufirma gegründeten Unternehmens sind Andrej Polowinkin, Sergej Archipow und Nadeschda Kolossowa. Ist im Süden Moskaus für die Entsorgung verantwortlich und unterhält mehrere Deponien im Moskauer Umland. Kunden sind vor allem staatliche Strukturen.
Webseite: https://www.viva-trans.com/
Hartiya: Das 2012 gegründete Unternehmen gehört Igor Tschaika, dem Sohn von Russlands Generalstaatsanwalt Juri Tschaika. Der Umsatz 2017 lag bei 2,54 Milliarden Rubel (gut 35 Millionen Euro). Hartiya hat 2015 in Moskau Großaufträge zur Entsorgung von zwei Stadtgebieten über 15 Jahre und insgesamt fast 600 Millionen Euro gewonnen. Darüber hinaus ist Hartiya im Moskauer Umland sowie in den Gebieten Jaroslawl und Tula aktiv.
Webseite: http://hartiya.com/
Ekolain: Ebenfalls hauptsächlich in Moskau aktiv und mit langjährigen Entsorgungsverträgen ausgestattet ist die 2012 gegründete Firmengruppe Ekolain, die im Juli 2019 den Konkurrenten MKM Logistika übernommen hat. Gesteuert wird das Unternehmen von Managern der Baufirma ARKS, an der Milliardär Gennadi Timtschenko beteiligt ist.
Webseite: http://ec-line.ru/
Tschisty Gorod Einer der größten Akteure in den Regionen ist das in Wolgograd beheimatete Unternehmen „Tschisty Gorod“. Insgesamt ist „Tschisty Gorod“ (zu dt: „Saubere Stadt“) in sieben Regionen aktiv, davon in fünf als regionaler Operator. Das Unternehmen hat seinen Schwerpunkt in Südrussland, ist aber daneben auch in Archangelsk vertreten.
Präsident Wladimir Putin hat den REO im Januar 2019 per Dekret aus der Taufe gehoben. Zum Generaldirektor wurde Denis Buzajew ernannt, der zuletzt als Minister in der Regierung des Moskauer Umlands für Investitionen und Innovationen verantwortlich war. Im Aufsichtsrat sitzen mit Umweltminister Dmitri Kobylkin, Wohnungsbauminister Wladimir Jakuschew, Industrieminister Denis Maturow und Vizepremier Alexej Gordejew aber auch hochrangige Mitglieder der russischen Regierung.
Die Besetzung des Managements mit Spitzenbeamten macht deutlich, dass der REO nicht nur unternehmerische, sondern auch behördliche Funktionen wahrnimmt. So gehört die Koordinierung der Abfallwirtschaft mit staatlichen, regionalen und lokalen Ämtern zu seinen Aufgaben ebenso wie Expertise und Analyse der Branchenbedürfnisse. Der REO kann und soll Gesetze für die Branche initiieren und die wissenschaftliche und technologische Basis für die Modernisierung der Abfallverarbeitung schaffen. Das soll unter anderem durch den Aufbau einer Bibliothek, in der Praxisbeispiele aufgeführt sind, die Zertifizierung und die Bestellung von Forschungsarbeiten zum Thema geschehen.
Daneben läuft über den REO auch die gesamte Finanzierung des Programms. Mit 75 Milliarden Rubel (gut einer Milliarde Euro) wird das Unternehmen selbst aus dem Haushalt finanziert. Damit kann sich der REO an Investitionen zum Aufbau der Abfallwirtschaft beteiligen. Laut Buzajew ist der Staatskonzern bereit, sich an Projekten zu beteiligen, wenn dafür mindestens 50 Prozent Privatfinanzierung fest zugesagt sind. Zu diesem Zweck kann der nationale Umweltoperator Anleihen emittieren, Bürgschaften für strategisch wichtige Projekte übernehmen oder Kredite vergeben.
Der REO wird die Standards für die Realisierung von Investitionsprogrammen ausarbeiten und soll auch selbständig Investoren anwerben. Stand Herbst 2019 hat das Unternehmen immerhin schon 285 Investitionsprojekte in über 70 russischen Regionen, die an staatliche Hilfen geknüpft sind, geprüft.
Die regionalen Operatoren sind das Herzstück der Abfallreform. Sie sind für die gesamte Prozesskette von Müllabfuhr über die Sortierung und Verarbeitung bis hin zur Lagerung verantwortlich. Sie sind diejenigen, die Maschinen und Anlagen bestellen.
Verträge mit den regionalen Operatoren haben eine Laufzeit von maximal zehn Jahren. In den ihnen zugewiesenen Territorien tragen die regionalen Operatoren die volle Verantwortung dafür, dass die Normen der Abfallverarbeitung eingehalten werden, dass die Daten über die gesammelte Abfallmenge, den Verbrauch und die genutzten Verarbeitungstechnologien erfasst und an die Öffentlichkeit weitergegeben werden und dass illegale Deponien liquidiert werden.
Die regionalen Operatoren werden über die Tarife finanziert. Sie schließen dann sowohl mit den Verbrauchern der Region – zumeist die Wohnungsgesellschaften – als auch mit Unternehmen, die in der Abfallverwertung aktiv sind, Verträge ab. Sie können auch selbständig Investitionen tätigen, um die Verarbeitung der Abfälle zu steigern.
Hier versteckt sich allerdings ein Problem der Reform: Die Tarife sind deutlich niedriger als in Deutschland. Sie reichen für den Aufbau der nötigen Infrastruktur nicht aus. Viele regionale Operatoren haben mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dementsprechend zögerlich werden die meisten mit der Vergabe millionenschwerer Aufträgen für teure Anlagen und Maschinen sein.
Da noch nicht alle Regionen zur Realisierung der Abfallreform übergegangen sind, gibt es auch noch nicht überall regionale Operatoren. In Moskau beispielsweise will die Stadtregierung erst zum Jahr 2022 einen regionalen Operatoren bestimmen.
Die größte und einflussreichste Interessenvertretung der Branche ist die Assoziation „Tschistaja Strana“ („Sauberes Land“). Ihr gehören derzeit zwar nur 55 Mitglieder an. Aber diese repräsentieren 45 Regionen – von Kaliningrad bis Kamtschatka – und entsorgen zugleich mehr als die Hälfte der in Russland produzierten Abfallmenge.
Nach Schätzung der Umweltbewegung „Rasdelny Sbor“ (in etwa: „Mülltrennung“) gibt es in Russland rund 2.500 Abfall verarbeitende Betriebe. Das Problem ist, dass es kein landesweites System zur getrennten Sammlung von Recyclingmaterial gibt. Und so ist fast allen Unternehmen gemein ist, dass sie nicht genug Lieferungen von Sekundärrohstoffen bekommen, um ihre Kapazitäten auszulasten.
Allein im Gebiet Moskau sind nach Angaben des regionalen Umweltministeriums 432 Unternehmen in der Abfallverarbeitung tätig. So gibt es sechs größere Fabriken zur Verarbeitung von Papier und Karton. Die Gesamtkapazität beläuft sich auf 90.000 Tonnen im Jahr, die Auslastung auf 66 Prozent. Bei der Metallverarbeitung haben die drei größten Akteure sogar Kapazitäten von 460.000 Tonnen pro Jahr, sind aber nur zu 33 Prozent ausgelastet.
Besonders beklagenswert ist die Lage bei der Glasverarbeitung: Im Gebiet Moskau gibt es Unternehmen, die pro Jahr immerhin 400.000 Tonnen verarbeiten könnten. Sie sind aber nur zu zehn bis 15 Prozent ausgelastet. Bei der Polymerverarbeitung sieht es nur geringfügig besser aus: Von 153.500 Tonnen Kapazität werden nur 22 Prozent genutzt. Bei der Reifenverarbeitung sind es immerhin 30 Prozent der insgesamt 175.000 Tonnen Verarbeitungskapazität.
Russlandweit reichen aber auch die vorhandenen Verarbeitungskapazitäten bei weitem nicht aus. Größere Fabriken gibt es lediglich vereinzelt. So wie im sibirischen Nowokusnetzk, wo es seit 2008 eine Sortier- und Verarbeitungsanlage gibt und Polymere, Papier, Karton, Glas und Metalle in bescheidenem Umfang (sechs Prozent der angelieferten 400.000 Tonnen Abfall) recycelt werden. In Krasnojarsk lief von 2012 bis 2015 eine Fabrik, deren Betreiber gar eine Verarbeitungskapazität von 730.000 Tonnen angegeben hatten. Wie sich später herausstellte, wurde der Großteil allerdings einfach vergraben, die Fabrik wegen Umweltverstößen geschlossen.
In Kursk ging 2015 eine Fabrik mit einer Verarbeitungskapazität von 200.000 Tonnen Abfall in Betrieb. Angaben der Betreiber nach verringert sie die Abfallmenge um 40 Prozent. Ähnliche Zahlen präsentiert die 2014 in Dienst gestellte Müllsortieranlage in Orenburg. 40 Prozent der 250.000 ankommenden Abfälle sollen dort wiederverarbeitet werden.
In der russischen Hauptstadt wurde der Start der Abfallreform auf das Jahr 2022 verschoben. Trotzdem bereiten sich die Entsorger bereits in großer Eile auf die anstehenden Veränderungen vor.
In Moskau werden jährlich 24,1 Millionen Kubikmeter Abfall produziert. Zusammen mit dem Moskauer Umland (27,5 Millionen Kubikmeter) ist die russische Hauptstadt damit der mit Abstand größte Müllproduzent landesweit. Trotzdem wurde ausgerechnet in Moskau der Start der Reform verschoben.
Fünf Unternehmen teilen sich die lukrative Entsorgung Moskaus: Laut der Wirtschaftszeitung RBK erhält Hartyia pro Jahr umgerechnet mehr als 600 Millionen Euro für die Abfallbeseitigung im Nordosten und Osten Moskaus, MKM-Logistika gut 570 Millionen Euro für den Westen und Südwesten der Hauptstadt, Ekolain 370 Millionen Euro für die Entsorgung im Zentrum und im Norden Moskaus, MSK-NT mehr als 300 Millionen für den Südwesten und den Stadtbezirk Selenograd und Speztrans immerhin noch 180 Millionen Euro für die Abfallbeseitigung im Nordwesten. Alle Unternehmen sind mit langfristigen Verträgen ausgestattet.
Die Müllentsorgung funktioniert in Moskau dabei noch sehr „traditionell“: Die meisten Hochhäuser sind mit einem Müllschlucker ausgestattet, in den die Bewohner alles hineinwerfen, was reinpasst. Unten fällt die „Melange“ dann unsortiert in einen Container, der dann von den entsprechenden Unternehmen geleert wird. Der Abfall wird dann zumeist auf Deponien – die teilweise weit entfernt sind – verbracht und dort gelagert. Zwei Müllverbrennungsanlagen gibt es in Moskau. Die Vorsortierung ist selbst nach Angaben der Betreiber sehr gering und liegt unter zehn Prozent.
Wer selbst seinen Abfall vorsortieren und Wertstoffe abgeben möchte, muss weit laufen. Für die Entgegennahme von Papier, Glas und Altmetall gibt es nicht einmal in jedem Stadtbezirk Annahmestellen. Immerhin ist es nun in vielen Einkaufszentren möglich, Batterien abzugeben.
Zudem bringen sich die Entsorger inzwischen verstärkt in Position für den Start der Reform in Moskau. So stehen inzwischen vielerorts an den Hauseingängen bereits Container für die getrennte Sammlung von Wertstoffen und Restmüll. Für den Biomüll ist bisher noch keine getrennte Tonne vorgesehen. Zudem bleibt das Schicksal der Müllschlucker in den Hochhäusern ungeklärt. Ein generelles Verbot soll es derzeitigen Planungen nach nicht geben, was wohl dazu führen würde, dass die Bewohner weiterhin nicht trennen.
St. Petersburg hat als einer von drei Standorten in Russland einen Aufschub beim Start der Abfallreform bekommen. Dabei sind die Umwelt- und Müllprobleme in der Millionenstadt gewaltig. Neben den Haushalten trägt auch der Hafen dazu bei.
11,1 Millionen Kubikmeter Haushaltsmüll werden in St. Petersburg pro Jahr generiert. Damit liegt die Stadt auf Rang sechs im Müllrating der russischen Regionen. Hinzu kommen noch etwa zehn Millionen Kubikmeter an Industrieabfällen. Diese vergiften Boden, Wasser und Luft gewaltig. Nach Angaben des russischen Umweltministeriums sind 14,4 Prozent des gesamten Untergrunds in der Newa-Metropole mit Blei belastet. Auch die Luftverschmutzung liegt stellenweise weit über der Norm.
Die rund 20 Deponien in und um St. Petersburg sind ebenfalls hoffnungslos überlastet. Grundproblem ist die fehlende Sortierung der Abfälle. Die seit langem für die Entsorgung zuständige „Fabrik zur mechanisierten Verarbeitung von Haushaltsabfällen“, auf russisch kurz MBPO-2, wurde zum regionalen Operator ernannt, der Auftragswert liegt bei umgerechnet mehr als einer Milliarde Euro. Der Startschuss für die Reform wurde allerdings auf 2022 verschoben, da es nicht gelang, rechtzeitig mit allen Wohnungsgesellschaften Entsorgungsverträge abzuschließen.
MBPO-2 hat immerhin zwei Zechen zur Sortierung und Verarbeitung von Abfällen, Dort werden unter anderem organische Abfälle kompostiert. Doch bei der anfallenden Abfallmenge reichen die Kapazitäten nicht aus. Das Unternehmen will daher seine derzeitigen Verarbeitungskapazitäten verfünffachen auf etwa zwei Millionen Tonnen pro Jahr. MBPO-2 plant eigenen Angaben nach dafür Investitionen von umgerechnet knapp 300 Millionen Euro.
In der Stadtverwaltung laufen derzeit Verhandlungen über die Bereitstellung von vier Standorten für den Bau von Recyclingzentren, neun weitere Standorte sind für den Bau von Sortieranlagen im Gespräch.
Zudem sollen in St. Petersburg künftig auch mehrere Müllcontainer für die Trennung der Abfälle aufgestellt werden. In der Vergangenheit sind solche Initiativen allerdings daran gescheitert, dass die Bürger ihren Müll trotzdem ungetrennt in die Container entleerten. Immerhin in der Stadtverwaltung herrscht Optimismus: Bis 2025, so heißt es, sollen 69 Prozent der Abfälle verarbeitet werden.